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Montag, März 05, 2018
https://www.gesundheit-aktiv.de/kompetent-entscheiden/praenataldiagnostik.html

* GESUNDHEIT AKTIV e. V. – Bürger- und Patientenverband

UNTERSUCHUNGEN IN DER SCHWANGERSCHAFT
Wie viel Pränataldiagnostik ist wirklich sinnvoll? 

Wenn eine Frau heute schwanger wird, steht sie in den folgenden neun Monaten meist unter strenger Beobachtung. Frauenärzte gehen bei Untersuchungen und Tests zur Gesundheit von Mutter und Kind heute weit über das hinaus, was die reguläre Schwangerschaftsvorsorge beinhaltet. Die Mutterschafts-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung sehen zum Beispiel nur drei Ultraschalluntersuchungen vor: einmal in der 8.-11., dann in der 18.-21. und noch einmal in der 28.-31. Schwangerschaftswoche. Die Realität heute sieht anders aus: Fast bei jedem Besuch beim Frauenarzt hält dieser den Ultraschallkopf auf den langsam wachsenden Bauch der Frau – schließlich soll „nichts übersehen“ und „nichts versäumt“ werden. Auch lässt sich ein Zusatz-Ultraschall (möglichst noch in 3D, bei Eltern auch als „Baby-Fernsehen“ beliebt) gesondert abrechnen. Ein Betrag, den viele Paare gerne zahlen.
Fast schon routinemäßig werden den Frauen heute solche Untersuchungen (auch diverse Bluttests) als Selbstzahlerleistungen angeboten. So ergab eine Untersuchung der Bertelsmann Stiftung aus 2015, dass 80 Prozent der werdenden Mütter in der frauenärztlichen Praxis individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) in Anspruch nahmen, die selbst bezahlt werden müssen. Derartige Zusatzuntersuchungen sind inzwischen zu einem guten Geschäft für die Ärzte geworden.
Die Studie zeigt, dass bei der Hälfte der Frauen mit unauffällig verlaufender Schwangerschaft mehr als fünf Ultraschall-Untersuchungen gemacht wurden, und dass bei nahezu jeder Schwangeren ein CTG aufgezeichnet wurde, mit dem Herztöne und Wehentätigkeit erfasst werden – was so in den Mutterschaftsrichtlinien nicht vorgesehen ist. Nur bei Risikoschwangeren gehören mehr Ultraschall-Aufnahmen und generell ein breiteres Spektrum an Vorsorgeuntersuchungen zur Routine, aber heute zählen 70 Prozent Frauen ohnehin zu dieser Gruppe – irgendein Risiko findet sich immer (z. B. Alter über 35 Jahre, vorausgegangene Fehlgeburt, vorausgegangener Kaiserschnitt).
Nahezu selbstverständlich ist es inzwischen geworden, dank der hoch auflösenden Ultraschallgeräte, über die heute fast jede Frauenarztpraxis verfügt, gegen Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels bzw. zu Beginn des vierten Monats nach der Nackenfalte beim Baby zu schauen. Erscheint sie nämlich als auffällig dick, liegt der Verdacht nahe, dass das Kind möglicherweise ein DownSyndrom haben könnte. Und so beginnt unter Umständen eine Spirale von immer weiteren Untersuchungen, die für mehr Angst und Unruhe sorgen als dafür, dass die Frau „guter Hoffnung“ oder „freudiger Erwartung“ ist, wie eine Schwangerschaft früher gern umschrieben wurde. Mehr noch: Viele Frauen werden gar nicht mehr erst gefragt, ob sie überhaupt wollen, dass der Arzt die Nackenfalte ausmisst – es wird einfach gemacht.
Auch ist die normalerweise übliche Ultraschall-Untersuchung im fünften Monat zu einem „großen Ultraschall“ ausgedehnt worden, bei dem eine Feindiagnostik der kindlichen Organe stattfindet. Werden hierbei Auffälligkeiten entdeckt, geht es sofort weiter zum Spezialisten. Die meisten Tests und Untersuchungen sollen in erster Linie der Beruhigung dienen: Alles in Ordnung mit dem Baby. Was aber, wenn sich herausstellt, dass eben irgendetwas nicht „in Ordnung“ ist? Jede Untersuchung macht doch nur dann Sinn, wenn die Frau bzw. das Paar bereit ist, auch die Konsequenzen davon zu tragen. Wenn zum Beispiel von vornherein klar ist, dass eine Abtreibung nicht in Frage kommt, sind Nackenfalten-Messung, Fruchtwasser-Untersuchung und so manches andere völlig überflüssig – weil sie eben gar keine Konsequenzen hätten. WEITERLESEN

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* Kathrin Fezer Schadt – Seit Jahren journalistisch mit „Pränataldiagnostik“ und „Palliativer Geburt“ beschäftigt. Hierzu erschienen u.a. „Tim lebt!“ und „Lilium Rubellum“. Gründete 2009 das Projekt „Erstes Hilfe Köfferchen Berlin“. 2018 erscheint „Weitertragen - Wege nach pränataler Diagnose.“

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 * Stiftung Bewusstseinswissenschaften – „Projekt Dr. Ulla Franken“

 Das “Projekt Dr. Ulla Franken“ der Stiftung Bewusstseinswissenschaften wurde aus dem Nachlass der Gesundheitswissenschaftlerin Dr.Ulla Franken gegründet. Ihrem Anliegen gemäß unterstützt und fördert es die Entwicklung emotionaler Kompetenz in Medizin und Gesellschaft.    Der Roman „Lilium Rubellum“ von Kathrin Fezer Schadt beschreibt lyrisch und anschaulich die Wucht der emotionalen Situation, in die eine schwangere Frau geworfen wird, wenn sie - und ihr Partner - mit einer Diagnose im Verlauf pränataler Untersuchungen konfrontiert ist.

Auch für das medizinische Personal  stellt die Situation, in der eine Diagnose mit solcher Tragweite verkündet werden muss, eine emotionale Belastung und Herausforderung dar, auf die es in der Ausbildung unter mitmenschlichen und emotionalen Gesichtspunkten schlecht vorbereitet worden ist. Das Buch „Tim lebt“, ebenfalls von Kathrin Fezer Schadt, zeigt die Auswirkungen einer professionellen Ratlosigkeit und emotionalen Überforderung aller Beteiligten nach einer vollzogenen Spätabtreibung, die das Kind jedoch überlebt.

Die medizinische Technologie und wissenschaftliche Betrachtung durch die Pränataldiagnostik entwickelt schnell Eigendynamik und gibt dann das Tempo vor, mit dem das Machbare zügig umzusetzen ist - bevor die emotionalen Verarbeitungsmöglichkeiten der Betroffenen Schritt halten können. So müssen schwere Entscheidungen im Abseits der Privatsphäre, oft überstürzt und ohne angemessene Beratung oder Beistand getroffen werden. Die betroffenen Eltern bleiben damit und mit den emotionalen Folgen auf erschütternde Weise allein.

Diese tragische Situation beinhaltet immer auch einen Appell an die Reife, die emotionale Kompetenz und das Werte-Bewusstsein aller Beteiligten. Um sie menschenwürdig anzugehen, um sie einfühlsam und mitmenschlich zu gestalten, braucht es Zeit, z.B. für Trauer, braucht es Mut, für jedwede Entscheidung, braucht es Beistand, um die Situation, wie sie ist, annehmen zu können. All dies auf dem Hintergrund umfassender Aufklärung über die faktischen Alternativen und notwendiger professioneller Beratung.

Die großen Fragen, die sich in der Situation einer pränatalen Diagnose plötzlich stellen: Ist das Kind lebenswert? Was bedeutet Schwangerschaft für die Frau? Wie beendet man sie? Wie wird man fertig mit einem solchen Ereignis? – sie schlummern in den jungen Eltern bereits – unbeachtet - vor jedem Gang zum Ultraschall. Deshalb sollten diese Fragen schon im Vorfeld bewusst bewegt werden, sollten in der Ausbildung junger Erwachsener Gegenstand von Aufklärung und einem offenen Dialog über die damit einhergehenden ethischen Fragen und emotionalen Belastungen, sollten Gegenstand von Allgemein- und Herzensbildung werden.